Free Hugs - Gratis Umarmungen

Vier Tage Ferien ganz für mich alleine, bereits zum dritten Mal nach 2021 und 2022. Dieses Jahr hatte ich den Impuls weniger in der Natur, sondern in Städten unterwegs zu sein. Ich wusste, ich starte am 5. September in Aarau, aber noch nicht, wie es weiter geht. Ungefähr eine Woche vorher begegnete mir die Idee von Free Hugs, also Gratis Umarmungen. Ich hatte schon früher davon gehört, kam einfach nie auf die Idee, das selbst zu tun. Es lies mich nicht mehr los. Kurz vor meiner Abreise bastelte ich mir ein Schild und packte Draht ein für die Befestigung am Tramper

Nach einem feinen Café in der schmucken Altstadt von Aarau stelle ich meinen Tramper an einen Baum in der Grabenstrasse, drehe mein Schild und bin gespannt, wer mich als erstes umarmt. Ich fokussiere mich jeweils auf einen Menschen und sage innerlich: "Ich liebe Dich".

Nach ca. fünf Minuten kommt eine dunkelhäutige Frau mit Rastas auf mich zu und meint: "Gemmer en Omarmig". Der Bann ist gebrochen.

Kurz-Reaktionen

  • Do halti äxtra a (Mann auf Fahrrad)
  • Chasch mer eini mache (Junger Mann mit Balkan - Slang)
  • Ech chome ou eini go hole (Junge Frau, die in der Nähe am Take Away am Anstehen ist)
  • Ech geb däm jetz en Omarmig (zur Kollegin) und zu mir sagt sie: "Das dod guet ehr Seele, gäu"
  • Thankx maid, that was great (ein Engländer)
  • Do you need help? (eine arabische Frau)
  • Geht es dir gut?
  • Gratis? Wirklich?
  • Super, bitte mach wiiter met so positive veibs verbreite
  • Do you still work? (als ich im Tibits meinen Tramper abstelle) of course!
  • Sorry, cha ned, be gempft
  • be grad verchöuted, cha leider ned

Kurz-Geschichten

Vier Jungs, ca. 14 Jahr alt, beobachteten mich eine Weile. Dann kommt einer auf mich zu, umarmt mich und will mir zwei Franken geben. Ich lehne dankend ab und bin sehr berührt, dass ein Kind dafür Geld bezahlen will. Später bietet mir nochmals ein Kind zwei Franken an. Anscheinend ist aus ihrer Sicht ein Mann, der irgendetwas auf der Strasse anbietet, auf Geld angewiesen.

 

Wenig später streifen 5 Jugendliche um mich herum, plötzlich kommt einer auf mich zu und fragt, ob er Geld bekommt, wenn er mich umarmt :-).

 

Um diese Aktion in Luzern zu machen fehlte mir noch der Mut, weil mir dort bestimmt Bekannte begegnet wären. Doch auch in Aarau kam eine Frau auf mich zu und meinte: "dech könn ech doch vo JnJ, mer hend vor 15 Johr in Zog zäme gschaffet." Ich brauchte einen Moment bis ich Astrid erkannte. Sie fragte mich, ob ich Pause machen könne und lud mich zu einem Café ein. Dann gingen wir einkaufen fürs Abendessen. Zusammen mit ihrem Lebenspartner hatten wir spannende Gespräche und ich durfte bei ihnen im Garten übernachten.

 

In der Solothurner Altstadt unterhält sich eine Gruppe älterer Damen in der Nähe. Eine macht auf mich aufmerksam, dann umarmen sich zwei von ihnen. Eine davon kommt dann zur mir und umarmt mich. Zurück bei ihren Freundinnen meint sie: Är hed fröid - Log win äre strahled, wäge mer".

 

Eine Zeitlang kommt niemand zur Umarmung. Ich merke, wie meine Erwartung steigt, und ich mich gleichzeitig frage, ob es an mir liegt. Dann lasse ich das los, sage mir innerlich "ich mache einfach weiter, egal wenn heute niemand mehr kommt". Und bald darauf kommen wieder Menschen auf mich zu, fast im Minuten Takt.

 

Viele schenken mir einfach ein Lächeln oder lächeln für sich, ohne Blickkontakt zu mir. Negative Reaktionen erlebe ich keine Einzige, höchstens Menschen, die mir verunsichert aus dem Weg gehen.

 

Einen Moment habe ich das Gefühl, einige umarmen mich aus Mitleid, wollen mir etwas geben, weil sie vielleicht denken, es gehe mir nicht gut. Einige fragen mich auch, ob es mir gut geht.

Gebe ich mehr, oder empfange ich eher? Für mich ist es ausgeglichen, aber die Menschen, welche mich umarmen, sehen es wohl unterschiedlich.


Ein Mann, der schon vor einer Stunde vorbeikam und etwas unverständliches gesagt hatte, kommt wieder auf mich zu und meint: "Kontrolle - ob deer no ztrenke heidt, sesch nämlech heiss"

 

Erst am Schluss der Reise, wurde mir klar, wie ich der Aare Richtung Quelle folgte. Nach Aarau ging es nach Solothurn und dann nach Bern, Interlaken. Jeden Tag bin ich in der Aare geschwommen oder im Brienzersee.

Gegen Abend suche ich jeweils den nächstgelegen Wald auf der Online-Karte und mache mich auf den Weg zum Nachtlager. Mit einem bequemen Mätteli und einem warmen Schlafsack schläft es sich wunderbar in der Natur. In diesen vier Tagen war ich Tag und Nacht an der frischen Luft, ausser beim Reisen im Zug und für die Toilette.

 

Eine Schulklasse, ca. 5. Klasse, kommt die Gasse hoch. Ich rechne mit keiner Reaktion, konzentriere mich auf andere Passanten. Dann kommt eines der Kinder auf mich zu und umarmt mich. Dann kommt ein zweites und drittes und am Schluss hat mich fast die Hälfte der Klasse umarmt.

Eine Familie mit zwei Kindern beobachtet mich eine Weile und will dann genau wissen, wieso ich das mache. Am Schluss meinen sie, ich solle unbedingt nächstes Jahr ans Uhuru https://www.uhuru.ch/ kommen, ein kleines Festival für Musik und Tanz auf dem Weissenstein.

 


Bei der Hafebar in Solothurn an der Aare herrscht Sommerstimmung. Die Menschen sitzen an kleinen Tischen oder auf der Mauer der Aare. Ich gönne mir ein Knoblauchbrot und ein Bier. Für einen Moment denke ich, ich bin der einzige alleine. Dann setzt sich gleich neben mich eine Frau um die 60. Ich teile mit ihr meine Beobachtung, dass wir hier wahrscheinlich die einzigen zwei alleine sind. Sie kam vom Bodensee mit dem Wohnmobil. Ich frage sie, warum sie alleine unterwegs ist und sie erzählt mir kurz ihre Lebensgeschichte: Zusammen mit ihrem Mann hatte sie ein Unternehmen aufgebaut, viel gearbeitet und jetzt langsam an eine Übergabe gedacht. Kürzlich habe eine junge Frau bei ihr geklingelt, mit einem Kind von ihrem Mann. Eine Welt brach zusammen. Sie musste jetzt einfach mal weg. Natürlich umarmen wir uns bei der Verabschiedung.

 

Oft haben mich bei Paaren nur die Frau oder nur der Mann umarmt, doch einmal kommt eine Gruppe mit zwei Paaren und es bildet sich eine Schlange, aller vier wollen mich umarmen.

 

Eine Reiseleiterin verteilt Schokolade an ihre USA-Touristengruppe. Sie bietet mir auch Schokolade an und lässt sich dann umarmen.

 

Mehrere Schweizer sprechen mich auf Englisch an, wahrscheinlich weil sie denken "ein Schweizer macht sowas nicht"

 

Ein Mann um die 50 kommt laut lachend auf mich zu, lacht während der Umarmung und lacht weiter, bis ich ihn nicht mehr sehe. Er war bachnass. Entweder kam er direkt aus der Aare, oder er war total verschwitzt, ich werde es nie erfahren.

 

Bei den Meisten ist eine Umarmung einfach kurz drücken und gleich wieder loslassen. Es gab aber einige mit über 5 Sekunden und eine Umarmung dauerte gefühlte 20 Sekunden, mit einem Menschen, den ich nie vorher getroffen habe, einfach wunderbar.

 

Auf der Wiese neben der kleinen Schanze in Bern setze ich mich gegen Abend zu einen Baum und nehme ein Buch zum Lesen aus dem Rucksack. Bevor ich mit lesen beginnen kann, kommt eine ganze Clique von ca. 18 Jährigen auf mich zu. Alle wollen mich umarmen und sind sehr interessiert, wieso ich das mache und wollen von meinen Erfahrungen hören. Ich erzähle ihnen, dass mich heute mehrere Menschen besorgt fragten, ob es mir gut gehe und sie meinen, meine positive Ausstrahlung sei so ansteckend, dass sie sich das kaum vorstellen können. Tja, Wahrnehmungen sind verschieden und meine Stimmung hat während dem Tag sicher auch geschwankt. Grundsätzlich haben mich sicher viel mehr junge Menschen und gut zwei Drittel Frauen umarmt, kaum ältere Männer. Sind junge Menschen und Frauen einfach offener oder wie würde es aussehen, wenn eine junge Frau das Gleiche tun würde? Unter ihnen entstanden bereits Pläne, wie und wo sie auch eine Free Hug Aktion starten wollen.

 

Mein letzter Standort ist beim Ausgang vom Hauptbahnhof in Bern, morgens um 7:15. Die ersten 20 Minuten ist tote Hose, dann gleich zwei lange Umarmungen und anschliessend ein Mann aus dem Wallis, der mir gleich noch ein Buttergipfeli mitbringt, das lehne ich nicht ab: "Es düed eifach güet, derig Mönsche zgseh am Morge früeh".

 

Ich zähle die Hugs nicht und fokussiere mich nicht auf bestimmte Zielgruppen . Trotzdem habe ich irgendwann den Gedanken, dass keine Frauen mit Kleinkindern oder Menschen mit Hunden anhalten, vielleicht weil sie einfach das Kind oder den Hund nicht aus den Augen lassen wollen. Bald darauf kommt eine Frau mit Baby im Tragtuch, später eine Frau mit Kinderwagen und auch eine Frau mit Hund, welche die Leine kurzerhand ihrer Freundin in die Hand drückt. Männer mit "Schale", Frauen in Businesskleidern und Asiaten haben mich bis am Schluss ignoriert.

 

Ich war an drei Tagen jeweils ca. 2 Stunden aktiv auf der Strasse, gestartet in Aarau, dann Solothurn und am Schluss in Bern. Gefühlt kamen jeden Tag mehr Menschen für eine Umarmung. Lag es an der Stadt, am Standort oder an mir, weil ich lockerer geworden bin?

Ich war geflashed von dieser positiven Energie, den vielen schönen Begegnungen und der Erfahrung, wie wenig es braucht, um glücklich zu sein.

Die Free Hugs Campaign

Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Free_Hugs_Campaign

Die Free Hugs Campaign (Kampagne für kostenlose Umarmungen) ist eine soziale Bewegung, bei der Einzelpersonen Fremden an öffentlichen Plätzen Umarmungen anbieten. Die Umarmungen sollen zufällige Akte der Freundlichkeit sein - selbstlose Handlungen, die nur dazu dienen, dass sich andere besser fühlen.

Die Kampagne in ihrer heutigen Form wurde 2004 von einem Australier ins Leben gerufen, der nur unter dem Pseudonym "Juan Mann" bekannt ist. International bekannt wurde die Kampagne 2006 durch ein Musikvideo der australischen Band Sick Puppies auf YouTube, das über 78 Millionen Mal angesehen wurde.